Neue Sklaven fürs Kapital

Zuwanderung: Es geht um mehr als billige Arbeitskräfte.

von Michael Steinreuter

Aufgrund der beispiellosen Wanderungsströme junger, kerngesunder Männer sind viele Wirtschaftstreibende in heller Aufregung. Zwei schwedische Unternehmer wollen sogar eine „Refugee Air“ gründen und Flugzeuge chartern, um Syrern einen sicheren Weg nach Europa zu ermöglichen. Dass diese Unternehmer aus purer Menschlichkeit handeln, kann möglich sein. Es könnte jedoch auch sein, dass die beiden Schweden ähnliche Hoffnungen hegen wie der Vorstandsvorsitzende der Daimler AG Dieter Zetsche. Der Automobilkonzern-Chef frohlockt bereits im „Focus“, dass die mehr als 800.000 Menschen, die Deutschland dieses Jahr aufnimmt, im besten Fall „eine Grundlage für das nächste deutsche Wirtschaftswunder werden“. Dazu soll, wenn es nach dem Spitzenverband der deutschen Landkreise und nach Hans-Werner Sinn (ifo-Institut) geht, der Mindestlohn für Asylanten gesenkt werden.

4.221 Afghanen, 40 Akademiker

Wenn man den Medienberichten glauben schenkt, dass die Zuwanderer durchschnittlich einen höheren Bildungsgrad aufweisen als Einheimische, wird verständlich, dass sich jetzt so mancher Unternehmer Hoffnung auf ein paar gute und dennoch billige Arbeitskräfte macht. Die Realität dürfte indes anders aussehen. Laut AMS haben von den 5.007 im September beim Arbeitsamt gemeldeten Syrer zwar mehr als zwei Drittel und von den 4.221 Afghanen sogar mehr als 90 Prozent einen Pflichtschulabschluss, ob die Bildungsstandards in diesen fernen Ländern unseren entsprechen, bleibt jedoch fraglich. Selbiges gilt auch für ein Studium, dass in diesen Ländern abgeschlossen wurde, wobei der sprichwörtliche syrische Arzt ohnehin die Ausnahme ist. Unter den 4.221 Afghanen sind nur 40 Akademiker. Von den Syrern haben nur 7 Prozent ein Studium abgeschlossen.

Wie Menschen, die oft außer ihrem Smartphone nichts bei sich tragen, einen Nachweis über ihre Qualifikationen erbringen, geht auch aus der zuwanderungsunkritischen Berichterstattung in Österreich bzw. Deutschland nicht hervor. Dass Einheimische, die nach einem Pflichtschulabschluss keine weitere Ausbildung mehr genossen haben, zu 20 Prozent als besonders armutsgefährdet gelten, zeigt abgesehen davon, wie hoch ein solcher Abschluss einzuschätzen ist. Die sprachlichen Barrieren dürften den Arbeitsmarkt zudem vor eine große Herausforderung stellen. Auch das (medial gerne unter den Teppich gekehrte) ungewöhnlich hohe Gewaltpotential der bei uns Schutzsuchenden bleibt noch zu lösen.

In der BRD fordert die Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles aus diesen Gründen für die Integration der Flüchtlinge bereits jetzt eine Aufstockung der Mittel für das Jahr 2016 von bis zu 3,3 Milliarden Euro. Es wird geschätzt, dass die Integration eines einzigen Flüchtlings in den Arbeitsmarkt ca. 10.000 Euro kosten kann. Die Menschen, die jetzt zu uns kommen, dürften laut BRD-Innenminster Thomas de Maiziére außerdem schwieriger zu integrieren sein, als etwa die Migranten früherer Jahre. Er rechnet mit einem Analphabetenanteil von 15 bis 20 Prozent.

Die Last tragen die Niedrigverdiener

Kann die Zuwanderung ein Geschäft sein, wenn diese so hohe Kosten mit sich bringt? Ja, es ist ein Geschäft, ein gutes sogar! Allerdings nur für jene Menschen, die Wohnungen zu vermieten und/oder Tätigkeiten zu vergeben haben, die von niedrig qualifizierten Personal ausgeführt werden können. „Der Standard“ formuliert dies so:

„Wirtschaftlich gesehen wird Österreich von der starken Zuwanderung langfristig profitieren, nicht aber die Niedrigverdiener; diese tragen die Last der Migration. Sie werden im Arbeitsmarkt verdrängt oder müssen Lohnabschläge akzeptieren. Gleichzeitig steigt der Preisdruck im Wohnungsmarkt am unteren Ende, wenn tausende zusätzliche Familien untergebracht werden müssen.“

Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vom Juni 2014 veranschaulicht, wie schwierig die Situation für Niedrigqualifizierte bereits ohne völlig unkontrollierte Masseneinwanderung war. Schon damals waren 45 Prozent der Arbeitslosen in der BRD lediglich für Helfer- und Anlerntätigkeiten ausreichend qualifiziert. Diesem Niveau entsprachen jedoch nur 14 Prozent der Arbeitsplätze.

Haushaltshilfen gesucht

Der Druck am Arbeits- und Wohnungsmarkt war für Migranten schon vor Jahren besonders hoch. Maria S. Rerrich beschreibt in ihrem 2006 erschienenen Buch „Die ganze Welt zu Hause“ exemplarisch die Lebensumstände von einigen Migranten, die in der BRD das große Glück gesucht haben und sich in einer Situation wieder gefunden haben, die an die Zustände der Industrialisierung zurückdenken lässt: Kleine, überteuerte und völlig überbelegte Wohnungen in irgendwelchen Hinterhöfen, keine fixe Arbeitszeiten, kein Geld bei Krankheit oder Urlaub und keine Krankenversicherung, um nur einige Beispiel zu nennen. Die von Rerrich beschriebenen Menschen arbeiten meist brutto für netto in privaten Haushalten. Auch hier ist der Bedarf an billigen Arbeitskräften hoch, seitdem die von der Wissenschaft als „Sorge-Arbeit“ bezeichneten Tätigkeiten immer seltener von den Haushalten selbst erledigt werden können.

Einer der Gründe dafür ist, dass immer mehr Familienmitglieder in Lohnarbeit stehen und zum Waschen, Putzen, Kochen, Betreuen und Pflegen immer weniger Zeit bleibt. Primäres Ziel vieler Menschen ist es, möglichst viel Geld zu verdienen, um sich etwas von dem materiellen Wohlstand leisten zu können, der in der Werbung angepriesen wird. Zeit ist Geld und wer viel Geld verdienen will, hat keine Zeit um sich um den Haushalt, die Kinder oder seine eigenen Eltern zu kümmern. „Was kostet das?“ und „Was bringt mir das?“ sind die zentralen Fragen, die den modernen Menschen durchs Leben leiten.

Der Lohndruck wird weitergegeben

Der einzige Wert, der noch zählt, ist der Geldwert. Was damit nicht beziffert werden kann, fällt durch den Rost. So gesehen ist es nicht verwunderlich, dass alles was mit Pflege und Fürsorge zu tun hat, an Menschen ausgelagert wird, die für ihre Tätigkeit weniger verlangen, als das, was man für die eigene Arbeit an Geld bekommt. Wenn die eigenen Eltern beispielsweise zum Pflegefall werden, muss man, wenn man sie nicht selbst pflegen kann/will, jemanden finden, der dies um einen wesentlich geringeren Lohn macht als den, den man selbst verdient. Das heißt, man muss entweder selbst ein sehr gutes Einkommen haben, oder die Hilfskraft muss mit einem Hungerlohn und schlechten Bedingungen auskommen. Da die Schere zwischen den beiden Verdiensten oft nicht groß genug ist – da beide Einkommen auch noch versteuert werden müssen – spielt sich vieles in Sachen Altenbetreuung im informellen Bereich ab. Das widerspricht zwar den Gesetzen, der Staat entledigt sich so aber eines Problems, das er (aufgrund eines Systemfehlers) sonst nicht lösen könnte.

Willkommen im Hamsterrad

Daher geht es bei dieser Massenzuwanderung nicht nur um billige Arbeitskräfte. Es geht auch darum ein System am Leben zu erhalten, welches grundlegend auf Ausbeutung beruht. Ob es die Ressourcen von ganzen Ländern sind; ob es die Mutter ist, der eingeredet wird, sie müsse arbeiten gehen, weil sie sonst nichts Wert sei; oder ob es der Familienvater ist, der seine Kinder kaum sieht, weil er sich blöde schuftet, um die Wohnungsmiete aufzubringen.

Oder, ob es die Millionen von Menschen aus Asien und Afrika sind, die sich jetzt zu uns auf den Weg machen, weil sie dem Versprechen auf materiellen Wohlstand Glauben schenken und teilweise ihr Leben riskieren, nur um in das neoliberale Hamsterrad einzusteigen, indem auch sie nach unten treten müssen, um nach oben zu kommen.

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Der Beitrag erschien in der Printausgabe des Magazins Info-DIREKT Nr. 5-2015 im September diesen Jahres.

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