Wie man uns mit der „Nazikeule“ die Kultur nehmen will

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Vor einer Woche hatte eine Tiroler FPÖ-Ortsgruppe den Großen Austausch angesprochen und wurde dafür an den Pranger gestellt. Diesmal sind zwei Zillertaler Blasmusikkapellen einer medialen Hetzjagd ausgesetzt: Sie haben am Oktoberfest den beliebten „Standschützenmarsch“ intoniert.

Kommentar von Julian P. Eschentharrn

Wie ein jeder Mensch mit klassischer Bildung weiß: Der Künstlerberuf ist seit jeher der Gunst der Herrschenden und dem Zeitgeist unterworfen. Das heißt, vorausgesetzt man will damit sein Brot verdienen. Schon von Jörg Kölderer (1465/70 – 1540) sind vor allem zwei Arten von Kunstwerken auf uns gekommen: Illustrationen im Jagd- und Fischereibuch Maximilians I. sowie Denkmäler und Bauwerke in dessen Auftrag. Immerhin, so das historische Verständnis, war dieser sein Mäzen.

Dieser Binsenweisheit ist wohl zu schulden, dass einige Kulturschaffende auch in den autoritären Regimes des 20. Jahrhunderts die Gelegenheit ergriffen und diese umgarnten. Und ganz ehrlich: Wer hat nicht die Posse um die Abbestellung des Kabarettisten Manfred Tisal in einem heutigen, scheinbar meinungstoleranten, „demokratischen“ Umfeld verfolgt? Sich nicht darüber gewundert, wie gleichzeitig ordinäre Beiträge etwa von Stefanie Sprengnagel mit Steuergeldern gefördert werden? Man kann sich ausrechnen: Offener Widerstand wäre in diesem restriktiven Klima einem Karriereende gleichgekommen. Sogar Hans Moser und Heinz Rühmann unterwarfen sich damals den Vorgaben – trotz jüdischer Ehefrauen, letzterer ließ sich dafür sogar scheiden.

Tiroler Künstler unter Beschuss

Vor zwei Jahren beleuchtete man mittels eines Biopics das filmische Wirken Luis Trenkers. Jan Freitag rezensierte das Ergebnis in der „Zeit“ wenig zimperlich als „unterhaltsames Porträt eines Charakterschweins allererster Güte.“ Respekt vor dem Schaffen des naturverbundenen Grödners? Fehlanzeige. Nun hat man sich auf Sepp Tanzer eingeschossen. Der Wiltener Kapellmeister war weithin geschätzt, daher vom Austrofaschismus und den Nationalsozialisten eifrig umworben. So wurde er schließlich erst in der einen, dann in der anderen Partei Mitglied. Die Machthaber dankten es mit der Bestellung in hohe Referatsfunktionen der regionalen Musikkammern.

Ausgerechnet in dieser Funktion schrieb er 1942 mit dem „Standschützenmarsch“ eine musikalische Untermalung zu einem Tiroler Volkslied. „Hellau, miar sein Tirolerbuam“ ist zwar bereits um 1860 belegt und ein völlig unpolitisches, lokalpatriotisches, dialektal vorgetragenes Kulturgut – Tanzer aber widmete es im Sinne der damaligen Gepflogenheiten dem Gauleiter, dieser war begeistert. Für die immer „aufklärerische“ Linke daher schon vor vier Jahren ein Grund auf die Traditionsverbände einzuwirken: dieser Marsch solle unerwünscht sein. Und genau dieser wurde nun auf der „Wiesn“ gespielt. Übrigens ist Tanzer auch der Komponist des Bozner Bergsteigermarsches („Wohl ist die Welt so groß und weit“) sowie 150 weiterer volkstümlicher – völlig unpolitischer – Stücke proppenvoll mit Leitkultur, die Blasmusik in Tirol wäre ohne sein Werk quasi unvorstellbar.

Kultur darf nicht ideologisch bewertet werden

Gutmenschen sind übrigens – ähnlich ihrer politischen Gedenkkultur – nie konsequent in ihrer damnatio memoriae: Dass die alte Sowjethymne als jene der Russischen Föderation fortgeführt wird, stört dort niemanden. Die naive Unterstützung von Frida Kahlo für den flüchtigen Leo Trotzki, der vormals Bauernaufstände blutig niederschlagen ließ, wird mit Schulterzucken goutiert. Der lebenslange Kommunist Pablo Picasso sah seine Malerei als „Waffe zum Angriff“, seine abstrakten Arbeiten werden bereits Volksschülern als einzigartige Genieblitze gelehrt. Im Alt-68er regt sich dabei wohlige Erinnerung an eigene extreme Jugendsünden. Im Gegenzug werden die farbenfrohen, surrealistischen Bilder seines Zeitgenossen Dalí – im spanischen Bürgerkrieg ein Anhänger der Gegenseite – in diesen Kreisen wiederum als ‚Hirngespinste eines Perversen‘ verrissen und gelten deshalb als besonders verpönt. Cui bono?

Nicht missverstehen: Die Notwendigkeit, die Geschichte in all ihren Facetten aufzuarbeiten ist wichtig und richtig. Ein differenzierter, kritischer Blick auf Fehltritte und Irrwege der Vergangenheit ist unerlässlich für das Gelingen der Zukunft, man darf anklagen. Aber: Ein Rotstift quer durch das Kulturgut ist falsch. Kunsthistoriker müssen in der Lage sein, das Leben und Werk von Kulturschaffenden im Spiegel der jeweiligen Zeit zu sehen. Zweifelhafte, veraltete oder verquere Ansichten dürfen nicht die Größe künstlerischen Schaffens in Abrede stellen. Andernorts übrigens absolut kein Problem: Niemand käme trotz der schwierigen Geschichte in Bezug auf die deutsche Okkupation auf die Idee, sich aufgrund dessen Sympathien Knut Hamsuns zu entledigen. Im Gegenteil: Man erkennt diese Ansichten als Auswuchs jener Zeiten an und gedenkt des Nobelpreisträgers mit dutzenden Denkmälern und Straßenzügen in vielen Orten.

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