Martin Balluch: „Bei Tierversuchen ist Österreich ein Entwicklungsland“

von Rainer Ebert [CC BY-SA 2.0], via Wikimedia Commons

Der Verein gegen Tierfabriken ist österreichweit für Tierrechte aktiv. In Kärnten wurde er vor allem durch die Aufdeckung eines großen Schweinehaltungs-Skandals bekannt und aktuell ist auch der Streit um die Gatterjagd sehr prominent vertreten. Wir haben dem Tierrechtsaktivisten und Obmann des Vereins gegen Tierfabriken, Martin Balluch, einige Fragen gestellt.

Info-DIREKT: Im öffentlichen Bewusstsein gelten die österreichischen Tierschutz-Gesetze als sehr fortschrittlich. Was läuft Ihrer Meinung nach schief? Ist es die Gesetzeslage, ihre Umsetzung oder beides?

Balluch: Nach 30-jähriger Erfahrung stehen vier Hürden einem fortschrittlichen Tierschutzgesetz im Weg: Erstens, das Herz der Mehrheit der Bevölkerung zu gewinnen. Das ist erstaunlich leicht, wenn es um Fragen von Tierfabriken, Tiertransporten, Gatterjagden oder Tierversuchen geht. Der zweite Schritt ist dann, die Verantwortlichen in der Politik davon zu überzeugen, auf die Mehrheit zu hören. Und das ist – Demokratie hin oder her – erstaunlich schwierig. Der Grund ist leicht zu sehen. Die Tierindustrie ist mächtig und reich – möglichst billig und einfach Tiere maximal zu nutzen ist ihr ein finanzielles Anliegen. Und eine große Industrie hat immer mächtiges Drohpotential: Abzug von Wirtschaftsbetrieben ins Ausland, Reduktion von Arbeitsplätzen, weniger Steuern. Gegen diesen Moloch mit rein ethischen Argumenten anzukommen, ist sehr schwierig. Wenn diese zweite Hürde geschafft ist, hat man dennoch erst die halbe Miete.

Der nächste Schritt ist, dass das Tierschutzgesetz auch exekutiert wird. Auch das ist erstaunlich schwierig. Da gibt es einmal die menschliche Komponente, dass Amtstierärzte und Amtstierärztinnen jetzt plötzlich Dinge kontrollieren und einfordern müssen, die bisher erlaubt waren. Und es gibt die wirtschaftliche Komponente: die Strafen sind gering, die potentiellen Gewinnspannen beträchtlich. Wohlweislich sieht daher die Bundeskontrollverordnung für das Tierschutzgesetz vor, dass landwirtschaftliche Betriebe im Mittel nur einmal alle 50 Jahre kontrolliert werden müssen! Allen Ernstes! Beides zusammen, persönliche und wirtschaftliche Komponente, führen auch zu einem immensen Druck auf die Kontrollinstanzen.

Aber selbst wenn ein neues Tierschutzgesetz kommt und umgesetzt wird, dann fehlt noch die allerletzte Hürde: die Klage zum Verfassungsgerichtshof. Praktisch jede gesetzliche Norm zum Schutz der Tiere wurde von denjenigen, die sich nicht darangehalten haben, dem Verfassungsgerichtshof zur Prüfung vorgelegt. Da geht es um die Frage, ob so etwas „Nebensächliches“, wie Tierschutz aus ethischen Gründen, wirklich Gewerbefreiheit, Wissenschaftsfreiheit und Eigentumsrecht einschränken darf. Beliebig geht es nicht, weil Tiere nach dem Gesetz noch immer als Sachen gelten, auch wenn § 285a ABGB gegenteiliges vorschreibt. Leider hat dieser Paragraph noch nie vor Gericht eine Bedeutung erlangt.

Aber erfreulicherweise war der Verfassungsgerichtshof bisher in den meisten Fällen auf Seiten der Tiere. Nicht immer, so wurde der tierquälerische Singvogelfang wieder erlaubt. Aber das Wissen bei den politisch Verantwortlichen, dass der Verfassungsgerichtshof letztlich immer Tierschutzgesetze, die die Nutzung von Tieren wirklich einschränken, prüfen wird (zu schwache werden nie geprüft, weil ja die Tiere so etwas einklagen müssten, was sie als Sachen nicht können, und ohne Kläger kein Richter), führt zu ewig langen Übergangsfristen und schwammigen Formulierungen. Also: wir haben objektiv gesehen ein sehr schlechtes Tierschutzgesetz und es wird sehr schlecht exekutiert.

Info-DIREKT: Glauben Sie nicht, dass die Fokussierung auf eines bis wenige Themen zielführender für Ihren Verein wäre? Oder gehört die Förderung von Vegetarismus, Kampf gegen die Gatterjagd and das Ende des Singvogelfangs im Salzkammergut untrennbar zusammen?

Balluch: Der VGT ist keine kleine Gruppierung mit einem Zentralkomitee, das neue Kampagnenthemen ausgibt. Der VGT ist eine Plattform für Tierschützer und Tierschützerinnen in ganz Österreich, die sich für Tiere engagieren wollen. Und bei so vielen Personen kommen viele Kampagnenideen zusammen, und alle sind es im Allgemeinen wert, verfolgt zu werden. Der Zusammenhang ist, dass eine Aufwertung von Tieren bei einem Thema definitiv das Erreichen anderer Forderungen erleichtert.

So war zum Beispiel das Käfighaltungsverbot von Legehennen ein gutes Argument dafür, ein Käfigverbot von Fleischkaninchen zu bekommen, und beides zusammen ein gutes Argument gegen die Haltung von Mutterschweinen in Kastenständen, also diesen körpergroßen Käfigen. Letztlich geht es bei den Kampagnen des VGT darum, Tierschutz in der gesellschaftlichen politischen Wahrnehmung wichtiger und relevanter zu machen. Wir wollen erreichen, dass letztlich keine politische Partei darum herumkommt, in ihr Wahlprogramm Forderungen zur Verbesserungen im Tierschutz zu schreiben und zu anstehenden Tierschutzproblemen Stellung zu nehmen.

Aber abgesehen davon fokussieren wir die Hauptforderungen immer auf ein Thema, die bundesweite Fokuskampagne des Vereins. Dieses Thema wird konsensual bundesweit entschieden und bundesweit unterstützt. Zwar laufen daneben noch viele kleinere Kampagnen, weil sie eben Menschen im VGT ein Anliegen sind, aber der Fokus liegt auf einer realistischen Forderung, bis diese umgesetzt ist. Im letzten Jahr war das das Gatterjagdverbot. Davor die Besatzdichte bei Mastgeflügel, davor Tierschutz als Staatsziel im Verfassungsrang, davor ein Kriterienkatalog für Tierversuchsgenehmigungen und davor wiederum das Verbot von Kastenständen in der Haltung von Mutterschweinen usw. Und wir waren dabei immer erfolgreich.

Info-DIREKT: Sie kritisieren auch Jagd und Tierversuche: Geht es Ihnen darum, wie diese betrieben werden oder lehnen Sie diese zur Gänze ab?

Balluch: Wir sehen uns als Anwälte und Anwältinnen der Tiere selbst, sehen also ausnahmslos alles aus ihren Augen und versuchen bestmöglich in ihrem Interesse zu agieren. Was halten Wildtiere von der Jagd und was Versuchstiere von Tierversuchen? Aber wir sind pragmatisch, auch im Sinne unserer Klientinnen. Ich glaube kaum, dass die Tiere wollen, dass wir realitätsferne Forderungen stellen und dabei in der Praxis gar nichts weiter bekommen. Daher trenne ich in das idealistische Ziel der völligen Gewaltfreiheit gegenüber Tieren, und den pragmatischen Zielen der Realpolitik, wo uns jeder Fortschritt wertvoll ist. Mit dem Ökojagdverband ist z.B. eine Zusammenarbeit sehr sinnvoll, weil wenn man die konventionelle Jagd betrachtet, haben wir Tierschützer und Tierschützerinnen mit der Ökojagd viel mehr gemeinsam, als uns trennt.

Würde die Jagd nach Prinzipien des Tierschutzes und des Naturschutzes betrieben, also nur dann jagen, wenn ökologisch notwendig, und nur so wenig und auf eine solche Weise, wie sie das geringstmögliche Leid bei den Tieren verursacht, dann kämen wir dem Tierschutzideal der Gewaltfreiheit schon sehr sehr nahe. In der Realität aber geschieht das Gegenteil: Zucht von Wildtieren für die Jagd und die Treibjagd im eingezäunten Gatter sind Realität, überall werden Wildtiere erschossen, die sogar ökologisch vorteilhaft wären, wie Füchse, Dachse, Marder und Raubvögel, und es werden Paarhufer in Wintergattern oder bei Fütterungen gemästet, damit sie große Trophäen tragen und in so großer Zahl vorhanden sind, dass ein Jäger bzw. eine Jägerin keine Mühe hat, ständig welche beschießen zu können.

Und bei Tierversuchen herrschen die allerschlimmsten Zustände, in der Realität gibt es keine gesetzliche Einschränkung. Und das sage ich als jemand, der in der Bundestierversuchskommission sitzt. Der Beweis ist sogar leicht erbracht: es gibt keine Judikatur zum Tierversuchsgesetz, d.h. es werden überhaupt keine Übertretungen festgestellt, die zu gerichtlichen Verfahren führen. Die Behörden sagen frech, das sei deshalb so, weil alle Menschen, die Tierversuche durchführen, sich eben so genau an das Gesetz halten. Aber jeder Mensch weiß, dass das nicht stimmt. Natürlich wird das Tierversuchsgesetz ständig gebrochen, aber es interessiert niemanden und von außen ist es sehr schwer, Tierversuche zu kontrollieren, weil die Labors schwer bewacht sind und aus den Tierversuchen ein Staatsgeheimnis gemacht wird.

Nein, bei Tierversuchen sind wir in Österreich wirklich ein Entwicklungsland, wir haben nicht einmal eine Kommission, die mehrheitlich über Anträge zu Genehmigungen von Tierversuchen abstimmen muss. Selbst in Osteuropa sind solche Kommissionen normal. Und die vorhandenen Regeln werden gar nicht exekutiert. So sollten Tierversuche mehr Nutzen als Schaden bringen, und trotzdem werden jährlich tausende Nutztiere in Versuchen gequält, um festzustellen, wie sie noch effizienter genutzt werden können. Welchen Nutzen sollen solche Versuche bringen? Nur dem Profit von Tierfabriken bringen sie Nutzen, aber den Tieren und der Allgemeinheit lediglich Schaden. Oder der Pyrogentest an Kaninchen. Über 10.000 Kaninchen fallen dem jährlich zum Opfer, dabei werden neu produzierte Chargen verschiedener Stoffe getestet, ob es einen Produktionsfehler gegeben hat. Es gibt anerkannte Alternativen ohne Tiere, die sowohl in den USA als auch in der EU bereits in anderen Ländern genutzt werden. Aber in Österreich müssen dennoch Kaninchen dafür sterben, weil man sich auf die Freiheit der Wissenschaft beruft, um Tests zu gebrauchen, die man will. Wenn also eine Firma lieber an Kaninchen testet, dann darf sie das, obwohl im Tierversuchsgesetz eindeutig steht, dass gleichwertige Alternativen zu verwenden sind, wenn sie existieren. Beim Pyrogentest existieren sie, und trotzdem Business as usual. Bei Tierversuchen gibt es keine gesetzlichen Einschränkungen.

Info-DIREKT: Der Verein gegen Tierfabriken war 2008 starken Repressionen ausgesetzt. Man warf unter anderem Ihnen die „Bildung einer kriminellen Organisation“ vor. Was ist passiert und warum wurde der Vorwurf letztlich fallengelassen?

Balluch: Der politische Gegner aus Tierindustrie und Jagd hat gegen uns aus rein politischen Gründen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, um uns zu terrorisieren. Es ist ernüchternd für den Rechtsstaat, dass das möglich war. Aber immerhin kam es letztlich doch zum Freispruch. Dass der Rechtsstaat deshalb funktioniert, kann man aber leider nicht sagen, weil wir ja trotzdem 105 Tage in U-Haft und 14 Monate vor Gericht saßen. Und trotz Freispruchs haben wir die Verteidigungskosten nicht ersetzt bekommen. Das Resümee ist also: 3 Jahre keine Tierschutzarbeit und 1 Million Euro Schaden, obwohl wir im Sinne des Strafgesetzes unschuldig waren.

Info-DIREKT: Sie sind Autor des Buches „Widerstand in der Demokratie“ und weisen auf die Bedeutung zivilen Ungehorsams hin. Sind Sie ein Aufwiegler oder erfüllen Sie damit Ihre demokratische Pflicht?

Balluch: Eine ideale Demokratie würde zu jedem Thema eine offene und öffentliche Diskussion ermöglichen, die letztlich zu einer echten Mehrheitsentscheidung einer aufgeklärten und mündigen Bürgerschaft führt. Die Realität ist alles andere als ideal. Die Wirtschaft hat Seilschaften, einen ungehinderten Zugang zu politischen Entscheidungen, kann durch Werbung die Leute verdummen und ihre Machenschaften als Firmengeheimnis verschleiern. Wenn man nicht weiß, wie es in Tierfabriken zugeht, wie kann man als Gesellschaft darüber entscheiden? Es herrscht also Waffenungleichheit. Und diese soll durch zivilen Ungehorsam ausgeglichen werden.

Wenn nur die Tierindustrie, nicht aber der Tierschutz, von den Regierenden empfangen wird, dann muss Letzterer eben ein Büro besetzen, bis man mit ihm spricht. Wenn die Tierindustrie Millionen in erlogene Werbemaßnahmen steckt und eine heile Welt vorgaukelt, dann müssen spektakuläre Aktionen, wie z.B. die Befreiung von Tieren aus Tierfabriken im Beisein von Journalisten und Journalistinnen, ein Gegengewicht schaffen. Wenn das Firmengeheimnis den Zugang zu für die Öffentlichkeit wesentlichen Informationen behindert, dann muss eben recherchiert werden, auch wenn dafür das eine oder andere Gesetz gebrochen wird. In der Realität könnte niemand eine effektive Kampagnenarbeit machen, der sich immer und überall an das Gesetz hält.

Das Recht ist einfach von den Mächtigen gemacht, um ihre Pfründe zu schützen. Aber das heißt natürlich nicht, dass man das Gesetz für beliebige Zwecke jederzeit beliebig übertreten kann. In meinem Buch sage ich ganz klar, was demokratiepolitisch noch legitim ist und was nicht. Ziviler Ungehorsam muss immer symbolisch sein, er muss die offene und öffentliche Diskussion fördern und man muss offen dazu stehen und etwaige rechtliche Konsequenzen tragen. Nicht legitim sind Drohungen, Sachschäden als Druckmittel und Gewalt.


Anmerkung der Redaktion vom 18.12.2017 // Der VGT stellt zum Info-DIREKT-Interview von Balluch folgendes klar: „Wer die Publikationen, die politischen Ziele, die gewaltfreien Methoden und die ProtagonistInnen des VGT näher betrachtet, weiß, dass dieser Verein [Verein gegen Tierfabriken, Anm.] mit rechtsradikalem Gedankengut überhaupt nichts zu tun hat. Für den VGT ist eine Demokratie unter voller Beachtung aller Menschenrechte, ohne Überwachung, Repression, Zensur und Einschränkung der Versammlungsfreiheit, oberste Priorität. Und das nicht nur, wenn auch vorrangig, weil es sämtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sowie AktivistInnen und Mitgliedern ein persönliches Anliegen ist. Ein autoritäres Staatssystem würde zusätzlich die Tierschutzarbeit dramatisch erschweren, die ersten im Visier autoritärer Gesetze wären wir TierschützerInnen selbst und der VGT. Darüber hinaus wäre es aber auch widersprüchlich, für die Schwächsten der Gesellschaft einen staatlichen Schutz zu fordern, diesen aber gewissen Menschengruppen, wie Minderheiten, zu entziehen. Der VGT steht zwar für Tierschutz. Wir sehen unsere diesbezüglichen Bemühungen und Aktivitäten aber in einem untrennbaren Zusammenhang mit der Bekämpfung anderer, verwandter Formen von Ausbeutung, Missbrauch, Diskriminierung und Unterdrückung. Dementsprechend treten wir gegen alle Spielarten allgemeiner und struktureller Gewalt in Familie, Erziehungswesen, Arbeitswelt, Wirtschaft, Wissenschaft, Staat, Gesellschaft und insbesondere eben auch jene in der Mensch-Tier-Beziehung ein. Daher distanziert sich der VGT von jeder Form von rechtsradikalem Gedankengut.“

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1 Kommentar

  1. Das Lurcherl ruft hier ja zu Straftaten auf! Wann findet sich ein Anwalt und zeigt dies bei der Staatsanwaltschaft an: So wortwörtlich zu Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Sachentziehung, Verletzung des Datenschutzes etc.
    Die Grünen, halten noch schützend ihre Hand darüber! Aber das mit den Grünen im Landtag hat sich zumindest in Niederösterreich, analog zur NR-Wahl bald erledigt!
    Noch immer wissen zuwenige, der VGT gemeinsam mit 4 Pfoten und Wr Tierschutzverein die Fa. „Kontrollstelle für artgemäße Nutztierhaltung GesmbH“ betreibt! So kommen diese als AMA-Kontrollore in die Ställe und Zuchtstätten. Und wers nicht glaubt,hier gleich nachsehen https://www.firmenabc.at/kontrollstelle-fuer-artgemaesse-nutztierhaltung-gesmbh_rkT#crefo

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